Die Regierung reformiert die Mindestsicherung. Ziel ist es, Arbeit wieder attraktiv zu machen. Sie argumentiert damit, dass vor allem kinderreiche Familien mehr Geld aus der Mindestsicherung bekommen können als so manch arbeitende Familie.
Vor einigen Tagen hat Bundeskanzler Sebastian Kurz in der ZiB2 mit Rechenbeispielen aufhorchen lassen, in denen die Familie eines Verkäufers mit drei Kindern auf nur 2.500 Euro netto kommt, inklusive Familienbeihilfe, wohingegen eine vergleichbare Familie in Wien rund 2.600 Euro Mindestsicherung. Die Kleine Zeitung hat bereits vorgerechnet, dass die Argumentation so nicht stimmt:
- Wenn eine Familie weniger verdient, als die Mindestsicherung ausmachen würde, kann sie eine sogenannte Aufstockung beantragen. Sie bekommt dann die Differenz ebenfalls als Mindestsicherung ausbezahlt.
- Nach dem neuen Modell könnte die Mindestsicherungsfamilie in Wien sogar auf über 2.700 Euro kommen.
Zwar würde dank Familienbonus auch die arbeitende Familie auf knapp über 2.700 Euro kommen, und zwar sogar ohne Aufstockung, aber das erklärte Ziel, einen deutlichen Einkommensabstand zwischen der arbeitenden Familie und den Mindestsicherungsbeziehern zu schaffen, wird damit klar verfehlt.
Mindestsicherung ist keine Hängematte
Das Rechenbeispiel ist aber noch aus einem anderen Grund falsch. Es existiert nämlich keine Wahlfreiheit zwischen dem Bezug von mindestsichernden Leistungen und der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
Im Kurz’schen Rechenbeispiel hat sich die Frau des Verkäufers (warum eigentlich ausgerechnet die Frau und nicht der Mann?) aktiv dafür entschieden, „nur“ Hausfrau und Mutter zu sein. Sie steht also dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Würde das Paar mit oder ohne Kinder Mindestsicherung beziehen, müssten beide Bewerbungen schreiben und an Schulungen oder sonstigen „aktivierenden Leistungen“ des AMS teilnehmen. Ein alleiniges Dasein als Hausfrau und Mutter ist somit nicht möglich.
Richtig gerechnet
Das Rechenbeispiel müsste also folgendermaßen lauten:
Variante 1
In der Mindestsicherungsfamilie entscheidet sich die Frau ebenfalls für ein Dasein als Hausfrau und Mutter und steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Statt rund 1.300 Euro Mindestsicherung für Paare erhält nur mehr der Mann rund 860 Euro als Alleinstehender (in Wien). Somit reduziert sich die Leistung aus der Mindestsicherung für die Familie um rund 430 Euro. Die Mindestsicherung für die Kinder bleibt gleich.
Die Rechnung lautet nun also rund 2.170 Euro für die Mindestsicherungsfamilie gegenüber immer noch rund 2.500 Euro für die Familie mit mindestens einem voll arbeitenden Elternteil. Die monatliche Differenz von rund 430 Euro summiert sich im Jahr auf über 5.000 Euro. Um dieses Geld kann die Familie einen netten Urlaub verbringen.
Variante 2
Die Frau entscheidet sich doch dafür, zumindest Teilzeit arbeiten zu gehen statt sich vom AMS schikanieren zu lassen. Das Mindestgehalt im Handel beträgt laut Kollektivvertrag 1.533 Euro brutto im Monat bei Vollzeit. Arbeitet die Frau 50 % Teilzeit, also rund 20 Stunden in der Woche, hat die Familie inklusive 13. und 14. Bezug rund 760 Euro zusätzlich im Monat zur Verfügung. Im Jahr sind das über 9.100 Euro. Da geht sich auch noch ein zweiter Urlaub locker aus.
Und um lediglich die Differenz zur vollen Mindestsicherung aus Variante 1 zu verdienen, also rund 5.000 Euro im Jahr, müsste die Frau nur etwas über 9 Stunden in der Woche arbeiten. Diese Arbeitsleistung sollte auch mit einem vierjährigen Kind kein großes Problem darstellen.
Noch mehr Gründe für die Arbeit
Dazu kommen noch andere Faktoren, die Arbeit attraktiv machen. Ich will hier erst gar nicht auf die soziale Komponente eingehen, dass ein regelmäßiger Tagesrhythmus, der Kontakt mit Kollegen und Kunden und so weiter Menschen zufriedener und glücklicher macht. Es gibt auch handfeste materielle Gründe, die für die Erwerbsarbeit sprechen. Die hier angeführten Gehälter beziehen sich ausschließlich auf Berufsanfänger. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten auch in nicht üppig bezahlten Branchen zusätzliches Einkommen zu generieren. Zusätzlich zu den jährlich von der Gewerkschaft ausgehandelten Gehaltserhöhungen, die unter anderem die Inflation abdecken, gibt es in allen Kollektivverträgen Vorrückungen mit zunehmender Berufserfahrung. Im Handel ist das zum Beispiel alle 3 Jahre der Fall. Nach 6 Jahren (was im Kurz’schen Rechenbeispiel mit einem zehnjährigen Kind nicht unrealistisch erscheint) liegt das Mindestgehalt im Handel schon rund 100 Euro höher.
Wir sprechen dabei aber immer von völlig unqualifizierten Angestellten. Bei einem Lehrabschluss beträgt sch das Anfangsgehalt rund 100 Euro mehr. Nach 13 Dienstjahren (bei einem zehnjährigen Kind wie im Kurz’schen Rechenbeispiel nicht unrealistisch) verdient man im Handel schon rund 2.000 Euro. Die Möglichkeit, Zusatzqualifikationen zu erwerben, um beispielsweise eine Filialleitung zu übernehmen, sollte auch nicht außer Acht gelassen werden. Mögliche Überstunden habe ich auch noch nicht berücksichtigt.
Auch über den Vermögenszugriff muss gesprochen werden. Die arbeitende Familie kann so viel ansparen, wie sie will, während die Mindestsicherungsbezieher ihr Vermögen bis auf wenige tausend Euro aufbrauchen müssen. Die Wohnung darf nicht zu groß sein und wer gar Immobilien besitzt, muss diese vorher verkaufen. Auch ein Auto muss in den meisten Fällen verwertet werden.
Arbeit ist auf jeden Fall attraktiver
Die Mär von der angeblich so attraktiven Mindestsicherung ist also nicht aufrecht zu erhalten. Wer Mindestsicherung bezieht, muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und kann sich nicht auf eine Rolle als Hausmann und Vater (oder Hausfrau und Mutter) zurückziehen. Schon mit wenig Arbeitsleistung des Partners oder der Partnerin kommen Familien auf erheblich höhere Jahreseinkommen. Gehaltsvorrückungen, Überstunden, Karrieremöglichkeiten und die Ansparmöglichkeiten machen die Arbeit in jedem Fall attraktiver als die Mindestsicherung.
Was bleibt: Schikanen und höhere Kosten
Was bleibt also von der reformierten Mindestsicherung? Migranten werden schikaniert und kinderreiche Familien in die Armut getrieben. Die Chancen, dass diese Kinder jemals aus der Rolle als Leistungsempfänger entkommen können, wird damit sicher nicht erhöht. Positiv sind lediglich der Freibetrag für Zusatzverdienst und der entschärfte Vermögenszugriff insbesondere auf Immobilien zu werden, der vor allem am Land die Schwelle absenkt die Mindestsicherung zu beantragen. Billiger wird das System dadurch wohl nicht werden.